Beobachtungen Zur COVID-19 Ausbreitung in japan

1.  Gründe für die VOM Ferguson-Modell Abweichende INFEKTIONS-Dynamik (Ferguson, et al., 2020) in japan

>> Gesichtsmasken sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ein KERNELEMENT DER bislang erfolgreichen japanischen Strategie zur Eindämmung von COVID-19. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, die Verbreitung des Virus durch bereits unwissentlich infizierte Menschen zu UNTERDRÜCKEN <<

A.   Japan und Italien: Ähnliche Ausgangsposition - Unterschiedliche Entwicklung

               i.         Im Jahr 2019 wurde Japan von 9,6 Millionen Touristen aus China besucht, ein Plus von 14% im Vorjahresvergleich (JTB Tourism Research & Consulting Co., 2020). Selbst im Januar 2020, während die COVID-19 Krise in China also bereits in vollem Gange war, reisten noch 925,000 Besucher aus der Volksrepublik China nach Japan ein (Fig. 1). Dies war ein neuer Monatsrekord. Erst am 27. Januar stoppten die chinesischen Behörden letztendlich den Verkauf von Pauschalreisen nach Japan (Nippon Communications Foundation, 2020), mit der Folge, dass die Einreisen von China nach Japan erst mit mehrwöchiger Verzögerung Ende Februar zum Erliegen kam.

Besucherzahlen - Japan

Fig. 1: Monatliche Besucherdaten, Japan (Nippon Communications Foundation, 2020)

              ii.         Der erste Fall von COVID-19 in Japan wurde am 16. Januar 2020 bekannt. Es handelte sich um einen importierten Fall, ein Patient, der zuvor aus Wuhan einreiste (The Japan Times Ltd - 1, 2020). 12 Tage später, am 28. 01, 2020, wurde eine erste „Community Transmission“ in Japan bekannt gegeben (The Japan Times Ltd - 2, 2020).

            iii.         Die ersten Fälle von importierten Infektionen erreichten Italien am 23. Januar 2020. Zwei Touristen aus Wuhan reisten durch mehrere Städte, bevor sie am 29. Januar symptomatisch wurden (Corierre Della Sera, RCS MediaGroup S.p.A., 2020).  Am 21. Februar wurde zuerst von einer „Community Transmission“ in Nord-Italien berichtet (La Rebublicca, 2020)

            iv.         Sowohl Japan als auch Italien registrierten im Januar 2020 ein starkes Besucheraufkommen aus China, wobei Japan mit knapp 1 Million Besuchern vermutlich den weitaus größeren Zustrom erfuhr (Zahlen aus Italien für Januar 2020 liegen nicht vor). Die meisten Besucher aus China buchen Reisepakete, die gekennzeichnet sind durch kurze Aufenthalte in mehreren Städten. Aufgrund der Datenlage in ii.  und iii. darf man annehmen, dass das Ansteckungspotential in beiden Ländern ähnlich war. Wir erklärt sich dann die stark unterschiedliche COVID-19 Entwicklung (Fig 2)?

A screenshot of a cell phone

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      Fig. 2:  Am 20.3.2020, modifiziert nach (Worldometer, 2020)

              v.         Der Vergleich der Fallzahlen ist nicht ideal, weil in verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Intensität getestet wird, in Japan eher weniger als zum Beispiel in Südkorea (GPlusMedia Inc., 2020). Wenn davon auszugehen ist, dass die Sterberate ein geeigneterer Indikator ist, dann verfolgt Japan eine einhundertmal effektivere Strategie um COVID-19 Infektionen zu verlangsamen. Und dies trotz einer Bevölkerungsdichte von 6,158 Personen/km2  in Ballungsräumen wie Tokyo (Tokyo Metropolitan Government, 2018) und obwohl 90% der Arbeitnehmer in diesen Ballungsräumen mit überfüllten Bahnen im Durchschnitt 1,42 Std. pro Tag pendeln (Real Estate Japan Inc., 2017).

            vi.         Hinzu kommt, dass von Beginn der Krise bis heute das Land mit weitaus weniger drastischen Maßnahmen auskommt, als man dies in der westlichen Welt zur Zeit sieht:
- Zwar sind die Schulen geschlossen worden, aber es gibt keinen generellen „Lockdown“
- Die Innenstadt von Tokyo ist zwar etwas weniger überfüllt als sonst, aber Geschäfte, Kaufhäuser sind grundsätzlich geöffnet.
- Restaurants sind grundsätzlich geöffnet, allerdings deutlich weniger besucht als üblich.
- Es gibt zwar die Empfehlung  der Regierung von zu Hause zu arbeiten („Tele-commuting“), aber meiner Einschätzung nach wird dies bisher nur zu etwa 50% umgesetzt. Das mag damit zusammenhängen, dass das Pflichtbewusstsein der Firma gegenüber sehr hoch ist. Man bleibt eben nicht einfach der Arbeit fern. Trotzdem sind die Pendlerzüge leerer, was auch daran liegt, dass viele Firmen zu flexiblen Arbeitszeiten ermutigt haben.
- Soziales Distanzieren wird zwar empfohlen, aber die Parks und Spielplätze sind trotzdem meist voll, besonders weil die Kinder keine Schule haben.

           vii.         Sehr wichtig ist, dass aufgrund dieser Situation die Wirtschaft des Landes zwar auch leidet, aber nicht so massiv wie dies bei einem „Lockdown“ (etwa in Italien) der Fall wäre.  Wie erklärt sich trotz alledem der bisher sehr große Erfolg beim Eindämmen der Epidemie?



B.    Die Rolle von Gesichtsmasken

               i.         Die Financial Times bringt es auf den Punkt, wenn sie von „strong social norms around obedience and mask-wearing“ berichtet. (Fig. 3).  Im Folgenden möchte ich diese Aussage differenzieren und näher erläutern. 

FT Graphic
Fig. 3 (Financial Times, 2020)

              ii.         Der niederländische Anthropologe Geert Hofstede spricht von individualistischen Gesellschaften wie etwa Italien oder Deutschland und kollektivistischen, wie Japan (Hofstede, 2020). Das hier näher zu diskutieren würde zu weit führen, aber ein zentraler Punkt ist: In Japan steht das Wohl der Gemeinschaft in der Werterangliste ganz oben.

            iii.         In Bezug auf das Tragen von Gesichtsmasken bedeutet dies, dass diese auch immer dann getragen werden, wenn man sich krank fühlt. Es geht dabei vorrangig darum die Mitmenschen vor Infektion zu schützen. Eine ganz große Mehrheit der Bevölkerung hält sich daran – ganz ohne Druck. Selbst kleine Kinder werden von ihren Eltern schon früh an diese Praxis gewöhnt (Fig. 4).

Gesichtmasken gehören zum Alltag in Japan

 Fig. 4:  Touristen in Kyoto (GPlusMedia Inc., 2020)

 

            iv.         Es ist grundsätzlich keine Seltenheit in den Wintermonaten Menschen mit weißen – oder neuerdings auch schwarzen, oder modisch farbigen Masken vor dem Gesicht zu sehen. Entsprechend führen Drogeriemärkte derartige Masken normalerweise in großer Auswahl. Sie werden üblicherweise in Einheiten von 5 (für den Gebrauch unterwegs) bis 100 (für die Bevorratung zu Hause) verkauft.  Die Preise liegen etwa zwischen 10 und 70 Euro Cent pro Stück.

              v.         Seit Beginn der COVID-19-Epidemie in Japan hat die Bevölkerung von sich aus vermehrt Gebrauch von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit gemacht. Möglicherweise ist ein Teil der Menschen der Meinung, dass die Masken den Träger vor Infektion schützten Dieser Punkt scheint umstritten zu sein. Mein Eindruck ist aber, dass man gut verstanden hat, dass eine COVID-19-Infektion ohne Symptome bleiben kann.  Daher zieht man einfach grundsätzlich eine Maske an, bevor man die Wohnung verlässt - um andere zu schützen (Fig. 5).

Fig. 5:  Menschen in Tokyo mit Gesichtsmasken am March 20, 2020. Fast alle tragen sie.
Webcam (World Wide Internet TV (wwiTV.com), 2020)

 

            vi.         Die stark gestiegene Nachfrage hat nun allerdings dazu geführt, dass die Masken oft ausverkauft sind. Man sieht inzwischen jeden Morgen Menschen geduldig vor den Drogeriemärkten Schlange stehen, um auf die tägliche neue Lieferung zu warten.  Oft sind die begehrten Produkte nach wenigen Minuten wieder ausverkauft. Problematisch ist, dass eine Hauptbezugsquelle, China, wegen Eigenbedarfs versiegt ist.

           vii.         Um diese Engpässe schnellstmöglich zu beseitigen, subventioniert der Staat die inländische Maskenproduktion. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Produktion auf 100 Millionen Stück pro Woche hochzufahren. Dieses Ziel soll Anfang April erreicht sein (Ministry of Economy, Trade and Industry, 2020). Ähnlich wie die Muttergesellschaft Foxconn in Taiwan hat die Elektronikfirma Sharp inzwischen einen Teil der Produktion auf Gesichtsmasken umgestellt (Nikkei Asian Weekly, 2020).

 

2.  FOlgerungen und Empfehlungen FüR Deutschland und DIE EU

               i.           Gesichtsmasken sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kernelement der bislang erfolgreichen japanischen Strategie zur Eindämmung von COVID-19. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, die Verbreitung des Virus durch bereits unwissentlich infizierte Menschen zu unterdrücken (jedoch nicht vorrangig darin den Träger selbst zu schützen).

             ii.           Gesichtsmasken sind besonders effektiv, um die COVID-19 Ausbreitung zu verlangsamen, wenn ein Großteil der Bevölkerung sie in der Öffentlichkeit trägt. Diese Maßnahme ist daher gut geeignet, andere, weitaus folgenreichere Maßnahmen wie eine Ausgangssperre oder ein „Lockdown“ zu ersetzen (oder zu komplementieren).

            iii.           Die schädlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft lassen sich erheblich minimieren, wenn das Leben ohne „Lockdown“ weitergehen kann. Vom Einzelhandel bis zur Autoproduktion könnte das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft rasch wiederhergestellt werden.

            iv.           Psychische Nebenwirkungen vom ‚Sozialem Distanzieren‘ treten nicht auf.

              v.           Es ist jedoch prekär, wenn europäische Regierungen die Bedeutung des Tragens von Gesichtsmasken herunterspielen oder sogar davon abraten diese zu verwenden (The Local Europe AB, 2020).

            vi.           Allerdings ist die Versorgung offenbar ein Problem: Eine nationale, bzw. europäische Kraftanstrengung ist nötig, um schnellstens die Produktion von Gesichtsmasken auf die erforderlichen Stückzahlen zu bringen (mehrere Masken pro Tag für jeden Einwohner in Deutschland bzw. der EU).  Firmen wie die deutsche Trigema könnten dabei ab sofort eine Führungsrolle spielen (TRIGEMA Inh. W. Grupp e.K, 2020).  Wie zudem das Beispiel Sharp zeigt, können auch branche-ferne Firmen zeitnah bei der Produktion aushelfen bzw. die eigene Produktion umstellen.

          vii.           Wichtig: Ein ähnlicher Schutzeffekt lässt sich bis zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung im Übrigen auch durch das Tragen von Baumwolltüchern vor Mund und Nase erzielen (Insider Inc, 2020).

         viii.           Weil das Tragen von Gesichtsmasken in vielen westlichen Kulturen bislang eher sozial geächtet wird oder einfach als „uncool“ gilt, könnten entsprechende Vorschriften das Tragen forcieren.  Zum Beispiel wäre denkbar, dass es bei Ausgangssperren oder anderen Beschränkungen spezielle Ausnahmen für Maskenträger gibt. Vorher müsste natürlich eine ausreichende Versorgung für die Bevölkerung gewährleistet sein.

Yokohama, 21. März, 2020

Michael Paumen  
paumen@gmx.net

3.   Quellen

Ferguson, N. M. et al., 2020. COVID-19 reports | Faculty of Medicine | Imperial College London. [Online]
Available at: https://www.imperial.ac.uk/media/imperial-college/medicine/sph/ide/gida-fellowships/Imperial-College-COVID19-NPI-modelling-16-03-2020.pdf
[Zugriff am 20 03 2020].

TRIGEMA Inh. W. Grupp e.K, 2020. Mundschutz | TRIGEMA. [Online]
Available at: https://www.trigema.de/mundschutz/
[Zugriff am 20 03 2020].

Financial Times, 2020. Coronavirus tracked: the latest figures as the pandemic spreads. [Online]
Available at: https://www.ft.com/content/a26fbf7e-48f8-11ea-aeb3-955839e06441
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Worldometer, 2020. Coronavirus Update (Live): 252,044 Cases and 10,405 Deaths from COVID-19 Virus Outbreak - Worldometer. [Online]
Available at: https://www.worldometers.info/coronavirus/#countries
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Dong, E., Du, H. & Gardner, L., 2020. An interactive web-based dashboard to track COVID-19 in real time. [Online]
Available at: https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(20)30120-1/fulltext
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Corierre Della Sera, RCS MediaGroup S.p.A., 2020. Coronavirus, primi due casi in Italia «Sono due cinesi in vacanza a Roma» Sono arrivati a Milano il 23 gennaio. [Online]
Available at: https://www.corriere.it/cronache/20_gennaio_30/coronavirus-italia-corona-9d6dc436-4343-11ea-bdc8-faf1f56f19b7.shtml
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World Wide Internet TV (wwiTV.com), 2020. Webcam view of the Akihabara crossing located in Tokyo, Japan.. [Online]
Available at: https://youtu.be/oEdekqkoW6g
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JTB Tourism Research & Consulting Co., 2020. Data Analysis on Japanese Inbound Tourism Trends – Feb2020. [Online]
Available at: https://www.tourism.jp/en/wp/wp-content/uploads/2020/03/inbound-market-trend-202002_en.pdf
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Nippon Communications Foundation, 2020. Foreign Visitors to Japan Continue Downward Trend in January | Nippon.com. [Online]
Available at: https://www.nippon.com/en/japan-data/h00656/foreign-visitors-to-japan-continue-downward-trend-in-january.html
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The Japan Times Ltd - 1, 2020. Japan confirms first case of coronavirus that has infected dozens in China | The Japan Times. [Online]
Available at: https://www.japantimes.co.jp/news/2020/01/16/national/science-health/japan-first-coronavirus-case/
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The Japan Times Ltd - 2, 2020. Japan reports first domestic transmission of coronavirus | The Japan Times. [Online]
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La Rebublicca, 2020. 38enne di Codogno contagiato, ecco i suoi spostamenti prima del ricovero. I genitori: "Siamo distrutti". [Online]
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Hofstede, G., 2020. The 6 dimensions model of national culture by Geert Hofstede. [Online]
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